Sarrazin - hat er mit seinen Thesen recht? |
Alex22
Schüler
Dabei seit: 13.03.2008
Themenstarter
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Ist doch normal. Ist bei der Welt genauso. Die lassen Pro-und Contra Kommentare schreiben, dazu noch Nachdenkartikel und Expertenmeinungen, sprich ist alles vertreten. Die wollen sich ja nicht in eine Schublade stecken lassen.
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15.09.2010 16:37 |
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Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
Alter: 60
Herkunft: Rödermark
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@True Romance:
Genau dies ist es. Buschkowsky ist hemdsärmlich. Aber er ist pragmatisch und er tut etwas in Neukölln. Er versteht die Sorgen der Leute, er ist "bei den Leuten". Und er wirft natürlich Sarrazin vor, in seiner Amtszeit als Finanzsenator nichts getan zu haben, eine erfolgreiche Integrationspolitik zu befördern und Finanzen für Kindergärten, Schulen, Nachhilfen etc. zu bewilligen, also für Integrationsprojekte.
Und Gabriels Artikel in der "Zeit" macht ja auch deutlich warum: Es geht Sarrazin nicht nur darum, die Integration zu stoppen. Auch "dumme Deutsche" sollen ja nicht existieren dürfen. Deutschland soll stolz sein und bleiben. Diesen Stand habe es durch Fleiß und Intelligenz erreicht - so Sarrazin. Insofern darf es in diesem Land nur die Elite - zu der er sich selber zählt - geben. Für "Dumme" und "Minderbegabte" ist dort kein Platz. Zu welchen Konsequenzen solche Gedanken führen können, ist aus der jüngeren deutschen Geschichte zu erahnen, wo es ja nur die "Arier" geben durfte - obwohl der GRÖFAZ selber ja sooo arisch aussah
Nichts gegen Elitenförderung. Aber die Aggression gegen alles, was aus Sarrazins Sicht "dumm" oder "minderwertig" ist, finde ich nicht nur rassistisch, es ist auch gefährlich, weil es so "schön" sozialdarwinistisch biologisch begründet wird: "survival of the fittest."
Dies ist wirklich "Untergangsliteratur" in der Tradition Sprenglers und Ernst Jüngers. Klar, dass so etwas bei einer verunsicherten Gesellschaft, die von Abstiegsängsten bedroht ist und sich dadurch auch bedroht fühlt, "gut" ankommt, v.a., wenn die Sündenböcke - und dies suggeriert Sarrazins Buch mit seinen Pauschalisierungen - immer "die Anderen" sind, die Muslime, die Türken etc.
Buschkowsky hat es ja in dem geposteten Welt Online Interview gesagt: das Buch enthält menschenfeindliche Formulierungen und auch Menschenverachtung (vgl. hier: ). Besser kann es m.E. nicht gesagt werden.
Und da hört bei mir die Toleranz eben auf.
Was das ewige Thema "Meinungsfreiheit" angeht. Wie bitte? Sarrazins Buch steht auf Platz 1 der Amazon- und Spiegel-Bestsellerliste, er bekam Sondersendungen etc., er verdient viel Geld mit seinem Buch. Wer hat denn so viel Raum bekommen, seine Thesen zu vertreten wie er? Zu viel Raum, meines Erachtens.
Zur FAZ:
Da sehe ich eine deutliche Entwicklung, wie ich es schon einmal in anderen Postings angedeutet habe:
Zunächst schickte die FAZ sarrazin-kritische Autoren vor wie Frank Schirrmacher oder Christian Geyer, dessen Rezension zum Sarrazin-Buch ich nach wie vor für eine sehr eindrucksvolle Analyse des Sarrazinschen Weltbild halte.
Dann gab die überwältigende Mehrheit der - natürlich konservativen Mehrheit der - FAZ-Leser Sarrazin recht - m.E. sehr unkritisch recht, aber eben recht. 80-90% Zustimmung.
Und natürlich werden diese Leute der Redaktion gesagt haben: wenn ihr weiterhin sarrazin-kritische Artikel druckt, dann kündigen wir unser Abo.
Und prompt schwenkt die Redaktion um. Dies begann mit einem unsäglichen Artikel des Chefredakteurs Nonnemacher, der von "angeblichem Biologismus" in Sarrazins Werk schwafelte und offenbar Geyer und Schirrmacher nicht zur Kenntnis genommen hatte. Und nun erscheinen nur pro-Sarrazin-Artike..
Ich war am Samstag in meinem Heimatort in Rödermark-Urberach bei einer Veranstaltung des Kabarettisten Vince Ebert (). Er ist politisch wohl FDP-nah. Auch er beklagte den Mangel an "Meinungsfreiheit" für Sarrazin, den man nun aus der Bundesbank schmeiße und rügte die "Toleranz" gegenüber dem "gewaltbereiten" Islam. Tolerare heiße "dulden" und beziehe sich in der Physik auf Grenzwerte (Ebert ist Physiker). Dabei hat er gar nicht begriffen, dass Sarrazin Meinungsfreiheit genießt und Raum für seine Thesen erhält. Vince Ebert meint aber, zur Freiheit gehöre eben auch Meinungsfreiheit - aber keine Toleranz? Verstehe ich nicht? [Außerdem meinte er, es sei witzig, sich auf der Bühne eine Zigarette anzuzünden, obwohl er Nichtraucher ist, um Raucher und Kettenraucher lächerlich zu machen, die täglich 10 Euro für Zigaretten ausgeben würden. Tolerant ist dies m.E. auch nicht, was mich als Freizeit-Kettenraucher dennoch nicht gejuckt hat, ich habe mir nach der Veranstaltung genußvoll meine Zigarette angesteckt : und ich gehöre auch zu denen, die an freien Tagen 10 Euro am Tag für Zigaretten ausgeben (zwei Schachteln solten es schon sein
); es entlarvt aber das Verständnis von "Toleranz": einerseits die "Gewaltbereitschaft" des Islam mit ausgewählten Suren aus dem Koran demonstrieren wollen und Sarrazin Schützenhilfe geben wollen, andererseits dieses Programm unter das Motto: "Freiheit ist alles" zu stellen, na ja
)
Mal sehen, womit uns die nächsten Tage in Bezug auf Sarrazin noch beglücken. Gabriels Beitrag in der "Zeit" ist m.E. mal wieder hervorragend.
V.a. trifft er einen wesentlichen Punkt, an dem das Buch zu kritisieren ist:
Quelle:
Noch ein notwendiger Nachtrag: Ich habe mir das Buch von Sarrazin besorgt und lese es. Und ich kann jetzt schon sagen: da wird in der Tat nichts verharmlost, es steht alles genauso drin, wie es Gabriel in dem obigen Beitrag beschreibt. Die "entlastenden" Argumente der Sarrazin-Anhänger, die "Ausrutscher" seien ihm lediglich in den Begleitinterviews zum Buch passiert und er schreibe nicht deutlich in dem Buch, was er denke, ist - wie es auch Gabriel beschreibt - nicht haltbar.
So, da ich das Buch seit heute in der Hand habe, werde ich den Vorschlag Sarrazins zur Gebährmutterprämie wörtlich zitieren:
Fettdruck des aus meiner Sicht rassistischen Satzes von mir.
Quelle: Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab. - München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2010, S. 389-390.
__________________ King: You're a monster, Urquhart.
Urquhart:You might very well think that, Sir, but your opinion doesn't count for very much now, does it? Good day, Sir.
Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
Dieser Beitrag wurde 15 mal editiert, zum letzten Mal von Bernhard Nowak: 15.09.2010 21:38.
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15.09.2010 18:12 |
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Danke Bernhard für die Zitate.
Das ist einfach unfassbar, dass ein Ökonom einen solchen Schmarrn zusammenschreibt. Noch dazu ein Banker! Ein Banker, der nicht imstande ist, zwei einfache Anlageformen rechnerisch richtig gegenüber zu stellen. So blöd kann man doch gar nicht sein!
Über die Art dieser Kriterien, nach denen selektiert werden soll, sagt er nichts näheres?
__________________ "Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung." (Peter Scholl-Latour)
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15.09.2010 21:34 |
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Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
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Nein, ich habe sie noch nicht gefunden. Sarrazin spricht aber - entgegen den Feststellungen von Albus Dumbledore in diesem Thread - sehr deutlich davon, dass seine Maßnahmen geeignet sein sollen, eine "dysgenisch wirkende Geburtenstruktur" zu verhindern (S. 378).
Wörtlich:
Quelle: a.a.O., S. 377-378
Fettdruck von mir, B.N.
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Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
Dieser Beitrag wurde 3 mal editiert, zum letzten Mal von Bernhard Nowak: 15.09.2010 21:48.
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15.09.2010 21:47 |
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Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
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Die Märchenstunde geht noch weiter:
Quelle: a.a.O., S. 384-386
Fettdruck der besonders "gelungenen" Aussagen von mir, B.N.
Und jetzt der Hammersatz auf S. 11 in der Einleitung, der häufig schon zitiert wurde:
Quelle: a.a.O., S. 11
Der von mir als sozialdarwinistisch empfundene Satz ist fett markiert, B.N.
__________________ King: You're a monster, Urquhart.
Urquhart:You might very well think that, Sir, but your opinion doesn't count for very much now, does it? Good day, Sir.
Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
Dieser Beitrag wurde 12 mal editiert, zum letzten Mal von Bernhard Nowak: 15.09.2010 22:53.
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15.09.2010 22:07 |
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Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
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@mandragora: Ja, der Einwand ist korrekt, ich habe das Adjektiv: "rassistisch" durch "sozialdarwinistisch" ersetzt.
Ein Zitat noch:
Quelle: a.a.O., S. 100
Ich will Euch weitere Zitate ersparen und werde das Buch jetzt komplett durchlesen. Aber schon das, was ich gelesen habe, lässt aus meiner Sicht die Aussage zu, dass es sich um ein rassistisch bzw. sozialdarwinistisch argumentierendes Buch handelt. Und vieles andere ist so pauschal und hanebüchen, dass ich nur den Kopf schütteln kann.
Den Vorwurf, das Buch nicht gelesen zu haben, kann man mir aber dann nicht mehr machen.
Man wird sicherlich denken, die "Causa Steinbach" und ihr heutiger - unverschämter - Ausfall gegen den polnischen Politiker Bartoczewski habe mit Sarrazin nichts zu tun:
Doch, m.E. hat es dies schon. Denn beide - Sarrazin und Erika Steinbach - sind aus meiner Sicht Provokateure und Tabubrecher: beide versuchen schrittweise, unter dem Denkmantel der Aufhebung von "Tabus" und "Denkverboten" nach dem Motto: "man wird ja heute nochmal sagen dürfen" Gedankengut, dass sich bislang in der revisionistischen Geschichtswissenschaft wiederfand, in die gesellschaftliche Debatte einzubringen und ihre Akzeptanz zu testen. Ich bin sicher, Erika Steinbach hätte es nicht gewagt, ihre anti-polnischen Äußerungen ohne Sarrazins sozialdarwinistische Thesen in die Öffentlichkeit zu bringen. Aber Sarrazin findet (leider) Zustimmung bei zahlreichen Deutschen. Also traut sich Steinbach nun, die "Sau" herauszulassen - anders kann ich es einfach nicht beschrieben.
Ich wünsche beiden Politikern eine Fahrkarte zum Mars - aber ohne Rückfahrkarte
Sarrazin antwortet heute auf Sigmar Gabriels Kritik in der "Zeit" von vorgestern (von mandragora hier im Thread eingestellt):
Die SPD-Spitze könne "nicht lesen". Tja, dann kann ich auch nicht lesen, denn Sigmar Gabriels Vorwürfe sind - nach dem Stand meiner bisherigen Buchlektüre - korrekt und v.a. gibt Gabriel den Inhalt der Zitate korrekt wieder.
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Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
Dieser Beitrag wurde 7 mal editiert, zum letzten Mal von Bernhard Nowak: 18.09.2010 11:11.
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15.09.2010 22:30 |
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Wieso antwortet er denn in der FAZ? Er sollte doch in der Zeit schreiben?
Außer, dass er beleidigt spielt ("ehrabschneidend"), geht er auf Gabriels Vorwürfe der Eugenik inhaltlich nicht wirklich ein. So nach dem Motto, "ich habe ja auch noch anderes geschrieben."
__________________ "Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung." (Peter Scholl-Latour)
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18.09.2010 11:33 |
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Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
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Herkunft: Rödermark
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Vermutlich antwortet Sarrazin in der FAZ, weil diese Zeitung das Blatt ist, in welchem nicht nur von der Leserschaft, sondern auch von den eingestellten Kommentaren, die größte Zustimmung zu seinen Thesen gekommen ist, von Nonnemacher bis zu Zastrow. Er wählt also die Zeitung aus, die ihm gesinnungsmäßig von allen großen Meinungsblättern am nächsten steht.
Ansonsten weiß der Herr offenbar nicht, was er geschrieben hat. Es zeigt mir allerdings, dass Gabriel mit seiner "Zeit"-Kritik den Kern der Dinge getroffen hat, v.a. mit seinem von mir zitierten Satz, dass es Sarrazin in Wahrheit gar nicht um Integration geht. Das Buch ist ein kulturpessimistisches Werk im Sinne eines Oswald Spengler und enthält m.E. auch Anklänge an den konservativen Soziologen Arnold Gehlen. Was Sarrazin weiß, ist, dass er sich mit seinen sozialdarwinistischen Thesen angreifbar macht. Er fühlt sich von Gabriels m.E. scharfsinniger Analyse getroffen. In der "Zeit" wäre ihm substantiell und qualitativ widersprochen worden, aber nicht in der FAZ - dies weiß Sarrazin sehr genau. Nicht umsonst findet sich direkt unter Sarrazins Beitrag eine Kritik von Michael Hanfeld an all den Medien, die sarrazin-kritisch berichtet haben, v.a. an Spiegel Online:
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Urquhart:You might very well think that, Sir, but your opinion doesn't count for very much now, does it? Good day, Sir.
Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
Dieser Beitrag wurde 2 mal editiert, zum letzten Mal von Bernhard Nowak: 18.09.2010 11:51.
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18.09.2010 11:46 |
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Die FAZ-Kommentarseiten sind ebenso wie die Welt-Kommentarseiten ein Saustall und gehören endlich ordentlich moderiert.
Der Spiegel hat einen Bericht über die Beteiligung Wulffs an der Entlassung Sarrazins aus der Bundesbank. Danach sind der Bundesbank keineswegs, wie von der FAZ behauptet, die Bedingungen von Wulff diktiert worden. Sondern es wurde vom Präsidialamt in Zusammenarbeit mit den Bundesbankjuristen ein Lösungsvorschlag ausgearbeitet, der dann Bundesbank-Chef Axel Weber vorgelegt wurde.
__________________ "Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung." (Peter Scholl-Latour)
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18.09.2010 13:15 |
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Bernhard Nowak
Schüler
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Herkunft: Rödermark
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Frau Merkel wurde heute in der FAZ von Günter Nonnemacher und Bethold Kohler (dem Verfasser des "angeblichen Biologismus" und des "Verteidigers" der Meinungsfreiheit im Fall Sarrazin) zu Sarrazin interviewt:
Kurzfassung hier:
Im Einzelnen:
Frage:
"Warum haben Sie als Bundeskanzlerin das Buch Sarrazins als diffamierend und nicht hilfreich verrissen?
Merkel:
Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich überzeugt bin, dass der Kern seiner Aussagen es in der Tat nicht leichter, sondern schwerer macht, nicht zu bestreitende Integrationsprobleme zu benennen und, was viel wichtiger ist, anzupacken.
Frage:
Wer ein anderes Menschenbild als Sie hat, muss sich aus dem Bundesbankvorstand zurückziehen?
Merkel:
Der kann mit dem Widerspruch der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden rechnen. unser Land ist seit 1949 ein Land der Chancen für jeden Einzelnen. Das hat uns stark gemacht und nicht eine bestimmte Klassifizierung von Gruppen. Mein Menschenbild ist nicht deterministisch, sondern christlich.
Frage:
Wie genau kennen Sie das Menschenbild Sarrains? Hanben Sie sein Buch gelesen?
Merkel:
Nein, die Vorab-Publikationen sind vollkommen ausreichend und überaus aussagekräftig, um These, Kern und Intention seiner Argumentation zu erfassen. Ich habe die Verantwortung als Bundeskanzlerin, an einer Gesellschaft mitzuarbeiten, in der jeder Mensch durch Bildung eine Chance bekommen kann, für sein eigenes Glück und zum Wohle unseres Landes.
Frage:
Musste man aus diesem Buch eine Staatsaffäre machen, mit der sich die Kanzlerin beschäftigt und der Bundespräsident?
Merkel:
Ich muss mich jetzt leider wiederholen: Es gibt Themen, bei denen ich es als meine Pflicht ansehe, mich deutlich zu Wort zu melden. Das Thema Integration ist mir seit langem ein Hekrzensanliegen. [...]
Frage:
Sie haben gesagt, im Fall Sarrazin gehe es nicht um die Gefährdung von Meinungsfreiheit, sondern nur um die Folgen, die dem Autor aus seinem Buch erwachsen. Sehen Sie da tatsächlich keinen Zusammenhang? Ist die Meinungsfreiheit erst dann gefährdet, wenn Bücher nicht mehr gedruckt werden, oder nicht schon dann, wenn sie aus Angst vor den Folgen nicht mehr geschrieben werden?
Merkel:
Es geht tatsächlich gerade nicht um die Gefährdung der Meinungsfreiheit, sondern um die Bewertung eines Zusammenhangs mit öffentlich-rechtlichen Funkitonen, eine Bewertung, die ich selbstverständlich nicht vornehme, sondern die Bundesbank in ihrer Unabhängigkeit.
Frage:
Können Sie uns den Unterschied zwischen dem Fall Westergaard und dem Fall Sarrazin erklären?
Merkel:
Der liegt auf der Hand, denn der Fall Westergaard berührt die Frage, ob ein Zeichner in Europa satirisch zeichnen darf.
Frage:
Konnte die Bundesbank noch unabhängig entscheiden, nachdem die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident, der Finanzminister und der Innenminister schon eindeutig ihre Meinung zu diesem Thema gesagt hatten?
Merkel:
Natürlich konnte sie das, und ansonsten ist dazu alles gesagt.
Frage:
Wie erklären Sie sich das auffällig große Maß an Zustimmung, das Sarrazin und sein Buch in der Bevölkerung finden?
Merkel:
Das Thema integration bewegt die Menschen in ihrem Alltag. Die Bundesregierung handelt, um die bestehenden Probleme in den Griff zu bekommen. Dafür brauchen wir gar nicht so viele neue Gesetzöe, bestehende müssen angewandt werden. Wer zum Beispiel einen Integrationskurs abbricht, kann, wenn er ALG-II-Empfänger ist, mit 30 Prozent Kürzung bestraft werden, danach mit 60 Prozent, und am Ende gibt es nur noch Sachleistungen. Wenn das noch nicht konsequent genug angewandt wird, werden wir dafür in Zukunft sorgen.
Frage:
Wie wollen Sie mit den zehn bis fünfzehn Prozent Integrationsunwilligen umgehen?
Merkel:
Mit Strenge. Wer neu zuzieht und den verpflichtenden Integrationskurs nicht besucht, muss die Konsequenzen tragen. Wir müssen ausländischen Eltern klarmachen, dass nur Bildung verhindern kann, dass ihre Kinder in einer Sackgasse landen. Leider müssen wir das im Übrigen auch deutschen Familien klarmachen, denn die Sprachtests zeigen, dass es auch Kinder aus deutschen Elternhäusern gibt, die sprachlich nicht in der Lage sind, dem Schuluntericht zu folgen.
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem ganzseitigen, heute in der FAZ erschienen Interview. Dies wird sicherlich vollständig in Kürze im Internet verfügbar sein.
Quelle: FAZ vom 18.09.10, Nr. 217, S. 3 (Auszug)
Ich sehe Nonnemacher und Kohler richtig toben
Das Interview mit der Kanzlerin ist mittlerweile online:
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Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
Dieser Beitrag wurde 3 mal editiert, zum letzten Mal von Bernhard Nowak: 18.09.2010 14:07.
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18.09.2010 13:38 |
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An sich lehne ich die Merkel ja ab. Ich halte sie als Kanzlerdarstellerin für eine krasse Fehlbesetzung, die ihre Inkompetenz während der großen Koalition durch die Regierungstätigkeit ihrer Minister (wer außer den SPD-Ministern hatte damals eigentlich noch regiert?) verdecken konnte.
Aber in diesem Interview hat sie gute und richtige Worte gefunden. Ich stimme ihr hier zu, auch wenn ich hinsichtlich ihrer Ausführungen zur Unabhängigkeit der Bundesbank Zweifel habe. Aber im großen und ganzen hat sie sich hier sehr gut geschlagen.
Den Interviewer dagegen scheint hier und da die Intelligenz verlassen zu haben. Wie kann man nur so eine Frage stellen:
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18.09.2010 14:28 |
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Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
Alter: 60
Herkunft: Rödermark
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Sehe ich genauso. Und ich bin etwas schadenfroh. Denn die Interviewer, Günter Nonnemacher und Berthold Kohler, beides Herausgeber der FAZ, haben Sarrazin am meisten unterstützt:
Kommentare Kohler zu Sarrazin:
a)
b)
Und Nonnemacher sprach gar vom "angeblichen" Biologismus im Buch Sarrazins:
Die Fragen an die ungeliebte Kanzlerin (beide Journalisten sind Koch-Fans bzw. Fans des konservativen CDU-Flügels) fallen entsprechend reserviert aus
Nachtrag: die Leserbriefe unter dem Merkel-Interview erschrecken mich in ihrem Hass!
Man muss die Kanzlerin nun wirklich nicht mögen, aber der Ton dieser Briefe geht mir zeitweise zu weit.
Edit: Dass die Herausgeber einer großen Tageszeitung sich nicht scheuen, der Kanzlerin diese Frage zu stellen:
Ist man in Deutschland schon ein Revisionist, wenn man an die polnische Mobilmachung vom Frühjahr 1939 erinnert?
Merkel
Diese Diskussion führe ich nicht.
wird mich jetzt veranlassen, nach meinem dritten scharfen Leserbrief an die Redaktion in Sachen Sarrazin die FAZ-Sonntagszeitung zu kündigen.
__________________ King: You're a monster, Urquhart.
Urquhart:You might very well think that, Sir, but your opinion doesn't count for very much now, does it? Good day, Sir.
Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
Dieser Beitrag wurde 7 mal editiert, zum letzten Mal von Bernhard Nowak: 18.09.2010 23:34.
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18.09.2010 14:36 |
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Feanor
Dabei seit: 01.11.2006
Alter: 32
Herkunft: Schleswig-Holstein
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Das klingt ja vernünftig. Und was ist, wenn kurdische Immigranten es nicht hinbekommen, deutsch zu lernen oder sich darum zu kümmern, dass ihr Kind deutsch lernt? Was ist die Konsequenz, wenn das nicht klappt? Abschiebung, ab zurück in die Türkei und als ethnische Minderheit unterdrückt werden?
Ist euch mal aufgefallen, dass jene Ausländer, die sich integrieren, auch immer einen großen Teil ihrer eigt. Identität aufgeben? Integration ist nur in der lebensfernen Soziologie nicht mit Assimilation gleichzusetzen. Ich habe schon öfters von Türken, die das Gymnasium besuchen, scherzhaft über ihre Landesgenossen spotten hören, die ja nichts mit ihrem Leben anfangen - willkommen in der Leistungsgesellschaft, Kumpel, jetzt hast du dich integriert, und bist genau so ein dreckiger, verlogener Penner wie wir alle.
Indessen ist die Einteilung nach Nationalitäten und Unterscheidung von Menschen nach diesen Attributen schon Rassismus; wenn Merkel oder andere Politiker gerne eine "menschengerechte" Integrationspolitik führen wollen, dann ist das auch nur eine Sublimierung von Deportation.
Sarrazin danke ich für seinen Mut, denn er spricht nur das aus, was alle in Deutschland denken, wie kann man ihm das übel nehmen? Auch die Art in der sein Buch geschrieben ist, das unheimlich argumentations-behinderte nachweisen in Statistiken (die übrigens nicht deswegen schwach in der Argumentation sind, weil sie anders gemeint waren oder anders ausgedeutet werden müssen, sondern weil Statistiken allgemein ungenau sind) und der Biologismus, alles auf die Gene abzuleiten, spiegelt genau das vermeintlich rationale Denken einer modernen westlichen Gesellschaft wieder, die fälschlicherweise annimmt, die logisch-empirische Methodik der Naturwissenschaften, die mittlerweile auch auf alle Geisteswissenschaften übertragen wurde, sei mit Wahrheit gleichzusetzen.
In diesem Sinne ist Sarrazin Zeitgeist par excéllence. Ihm verdanken wir nun, dass sich die Deutschen bald wieder eingestehen dürfen, dass sie Rassisten sind - nicht, dass sie es nicht schon vorher waren. Deutschland hat Hitler nie verdaut, und alle Deutschen haben den Geist des Faschismus so heftig in dem Geist ihrer Mentalität (insofern man überhaupt in einer gleichgeschalteten, globalisierten Welt von verschiedenen nationalen Mentalitäten sprechen kann), wie die Demokratie von Anfang an nur eine Beschönigung, Glattschleifung des Faschismus war.
Desweiteren: Sarrazin verdanken wir, dass der Konflikt zwischen der westlichen-demokratischen Welt, und dem Sammelsorium von sich gegen die Globalisierung und Vernichtung von Kultur tapfer wehrenden islamischen Splittergruppen weiter angefacht wird.
Positiv bewerte ich das, weil ein Blinder mit Krückstock sehen kann, dass dieser Krieg sowieso geschieht, und die Frage nur ist wann.
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18.09.2010 15:05 |
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