Wider die Sinnmacher und macht Sinnmachen Sinn |
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Was zum Nachdenken! Zwei Artikel zum Thema "Sinnmachen" und Widerdeutsch!
1. Artikel
Wider die Sinnmacher
Ein Traktat über philosophische Tieffliegerey und angelsächsische Falsche Freunde.
Vermutlich sind Sie auf diese Seite verwiesen worden, weil Sie sich zuvörderst in philosophischer Hinsicht als Tiefflieger und in germanistischer als Hilfsbremser produzierten, indem Sie dem unsäglichen Sinn machen durch unabhängige Neuerfindung, Wiederholung oder Zitat Vorschub leisteten.
Ich erlaube mir, Sie diesbezüglich wie folgt aufzuklären.
1.Sinn kann--philosophisch betrachtet--nicht gemacht werden. Wer machte denn bitteschön Sinn? Es? Welches Es? Das Es des Stephen King? Das Es des Sigmund Freud? Gibt es eine Maschine, die aus Edukten ein Produkt namens Sinn macht? Einen Menschen, der aus Worten, Taten und Zutaten Sinn zu machen imstande wäre? Wieviel wöge wohl so ein Sinn? Wär er wie ein Hauch so leicht? Wie ein Fels so schwer? Könnt man ihn sehen oder schmecken? Mit den Sinnen entdecken? Unsinn!
2.Philosophisch und sprachlich korrekt ist: positiv: etwas hat Sinn, bzw. ist sinnvoll oder ergibt einen Sinn. Der Geist, der stets verneint, spräche: etwas habe keinen Sinn, bzw. sei sinnlos oder ergebe keinen Sinn.
3.Die Angelsachsen machen neben dem Sinn so einiges: sie machen Geld, Freunde und Liebe. Nichts von diesen Dingen machen die Teutonen. Geld wird verdient, Freunde werden gewonnen und Liebe wird errungen. Wieviel poetischer ist doch unsere Sprache, wieviel Raum zu differenziertem Ausdruck bietet sie dem, der ihre Kleinode zu verwenden weiß. Nutzen wir diese Möglichkeiten, statt alles gleichzumachen!
Kaum lesen Sie diese Zeilen, fühlen Sie sich zu Widerspruch berufen. Bevor Sie sich weiter vergeblich bemüßigen, erlauben Sie mir, die am häufigsten angeführten Argumente gleich vom Tisch zu wischen.
Alle sagen es.
Stimmt nicht, mir zum Beispiel kommt es nicht über die Lippen. Richtig, vom Bundeskanzler über die Nachrichtensprecher bis zu Xavier Naidoo sagen und singen es viele. Wodurch es nicht richtig wird. Oder plappern Sie alles nach, was die Autoritäten so von sich geben? Singen Sie etwa besser als Herr Naidoo?
Sprache wandelt sich, also sollten wir es akzeptieren.
Richtig, Sprache wandelt sich, vor allem der Wortschatz. Die Übernahme mancher Anglizismen wird von mir durchaus begrüßt. Wo ich allerdings das Bewußtsein geschärft sehen will, ist bei der Übernahme sogenannter Falscher Freunde aus anderen Sprachen. Ein falscher englischer Freund ist zum Beispiel become, was der unkundige Fünftklässler auch schon mal mit bekommen übersetzt. Genauso geschah es vermutlich vor einer Dekade, als ein offensichtlich viel Gelesener (Leitartikler? Kolumnist? Radiosprecher?) unter Zeitdruck und oder mangels akkurater Übersetzungskenntnisse den (inneren) Babelfisch bemühte und (doesn't) make sense mit macht (keinen) Sinn wiedergab. Im Zeitalter der Macher, der vor Energie strotzenden Beweger, der Powermänner und Powerfrauen paßte das natürlich zum Zeitgeist wie die Faust auf's Auge, klang deutlich nach Aktivität (machen vs haben oder sein) und verfing sich folglich. Dennoch: es ist kein schlechtes Deutsch, sondern gar kein Deutsch. Wer's nicht glaubt, schaut mal bei uebersetzungsfallen.de vorbei und überlegt sich, ob er eigentlich seinerzeit seine Hausaufgaben in Englisch getan hat... Läsen Goethe, Kant oder Einstein heute von den Sinnmachern, Sie runzelten bedenklich die Stirn. Zum Glück gibt es noch Deutschlehrer, die ob solchen sprachlichen Unvermögens gnadenlos den roten Füller zücken.
Wohlan, was bleibt zu tun? Weisen Sie andere (gerne auch mit Verweis auf dieses Traktat) auf deren Faux-pas hin, wo und wann immer Sie einen Sinnmacher entdecken. Rezitieren Sie Ihre nun gewonnene Erkenntnis, weisen Sie sich im selben Atemzug zugleich als profunder Philosoph als auch Kenner der deutschen Sprachkultur aus. Antworten Sie im Nutznetz, schreiben Sie Leserbriefe, rufen Sie bei Ihrem Sender an. Nichts Geringeres als das Ansehen Deutschlands als Volk der Dichter und Denker steht auf dem Spiel.
Mit philosophischen Grüßen,
Jens Schweikhardt
Dieses Traktat darf und soll für beliebige Zwecke in beliebiger Form vervielfältigt werden.
2.Artikel
Heiko Stahl
Macht Sinnmachen Sinn?
Es genügt nicht, keine eigenen Gedanken zu haben;
man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken.
(Karl Kraus zugeschrieben*)
Neben manchem andern sondern Menschen auch Gesprochenes ab.
Man muß das gar nicht so wichtig nehmen.
(Kurt Tucholsky)
Vor einigen Jahren tauchte die Redewendung "es macht Sinn" im deutschen Sprachgebrauch auf. Von Politikern und Journalisten über die Medien verbreitet hat sich diese Phrase im allgemeinen Sprachgebrauch festgesetzt und wird meist im Sinne von "es leuchtet ein" oder "es ist sinnvoll" gebraucht – interessanterweise nicht im Sinne von "Sinn stiften", was ja als Synonym für das Sinnmachen naheläge. Wenn, mit Aristoteles, der Logos in den Dingen steckt, so muß man ihn ja auch dort herausholen können. Aber ist dieses Herausholen dem Machen gleichzusetzen? Ist Sinn machbar?
Im Folgenden soll der Ursprung und die Bedeutung dieser Phrase genauer beleuchtet werden. Dazu werden die üblichen Nachschlagewerke, aber auch elektronische Medien und sogar die Phantasie des Autors herangezogen. Desweitern wird der Versuch unternommen, die Redewendung in Hans Buchheims Theorie der praktischen Gangart der Ratio anzusiedeln.
Der Große Duden von 19731 kennt das "Sinnmachen" noch nicht. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, ebenfalls aus der Dudenredaktion, in der dritten Auflage von 1999 hingegen nennt unter Punkt 5 des Eintrags "Sinn" – "Ziel u. Zweck, Wert, der einer Sache innewohnt" – unter anderen auch "etw. macht keinen/wenig S. (ugs.; hat keinen/wenig Sinn; nach engl. it doesn’t make [any] sense)".2 Es schließen sich die Belege des ersten Erscheinens in gedruckter Form an: "es macht wenig S., davon den Frauen zu klagen (Frings, Liebesdinge 18); Macht es denn überhaupt S., dass kleine Anleger jetzt Gold kaufen? (Spiegel 1/2, 1980, 32)."3 Der Spiegel als Quelle des sinnentstellenden Sinnentrugs verwundert nicht. Der Eintrag in der Brockhaus-Enzyklopädie4 ist nahezu identisch mit dem im Duden, ist doch dieselbe Redaktion für den Wörterbuchanteil des Lexikons verantwortlich. Hier zeigt sich im übrigen, daß sich diese Nachschlagewerke der deutschen Sprache, anders als die beiden folgenden, von einer präskriptiven zu einer deskriptiven Ausrichtung gewandelt haben. Sie registrieren jeden Unsinn, verbreiten ihn dadurch und werden somit sinnigerweise wiederum sinnstiftend tätig.
Wahrigs Deutsches Wörterbuch in der Ausgabe aus dem Jahr 2000 kennt "Sinn machen" nicht, hier wird lediglich "etwas gibt" oder "hat keinen Sinn" mit "unvernünftig" oder "es hat keinen Zweck" sinngetreu gleichgesetzt.5 In Hermann Pauls Wörterbuch findet man nur "das alles hat ja keinen S."6 Der Vollständigkeit halber seien noch das 32-bändige Grimmsche Wörterbuch von 19057 sowie das Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache der Akademie der Wissenschaften der DDR von 19768 erwähnt. Auch hier mußte die Suche nach dem gemachten Sinn erfolglos bleiben.
Anders hingegen Broder Carstensens Anglizismen-Wörterbuch; es verzeichnet unter (einen/keinen/wenig/etc.) Sinn machen im Zusammenhang von Aussagen, Entscheidungen und Handlungen die Erklärung "(nicht, wenig) sinnvoll sein".9 Als wahrscheinlichen Ursprung nimmt es das Englische to make (no/etc.) sense an. Im Deutschen trete die Wendung heute häufig an die Stelle von das hat/(er)gibt (keinen etc.) Sinn. Der Erstbeleg im sogenannten Paderborner Korpus, also der Kartei der Wörterbuchredaktion, ist auf das Jahr 1979 datiert; die Erstbuchung in einem deutschen Wörterbuch wurde im Duden Universalwörterbuch von 1983 gefunden. Es folgen eine Reihe von Belegbeispielen; davon sollen hier nur die ersten drei zitiert werden:
1 SPIEGEL: Herr Minister, Sie machen in diesem Jahr über 30 Milliarden Mark neue Schulden. Zugleich müssen Sie 1979 rund 31 Milliarden für Zins und Tilgung des alten Schuldenbergs von 207 Milliarden ausgebe. Macht das noch Sinn? (SPIEGEL 29.1.1979: 84)
2 [...] vor der nächsten Bremer Premiere, [...] "groß und klein" von Botho Strauß, macht die Entscheidung für Strindbergs Szenen einer Ehe und einer Läuterung schon Sinn. (ZEIT 28.9.1979: 45)
3 SPIEGEL: Herr Professor Mann, zumindest auf diesem Gebiet können Sie sich mit Ihrem Strauß nicht sehen lassen. Es macht doch keinen Sinn, einen Kanzlerkandidaten Strauß zu propagieren, aber zugleich zu sagen: Was er da redet über die Ostverträge, das ist Unsinn. (SPIEGEL 1.9.1980: 42)10
Von zwölf Belegbeispielen stammen sieben aus dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, aber auch Die Zeit und die Frankfurter Allgemeine Zeitung beteiligten sich schon früh an der Verbreitung der Lehnphrase.11 Das nimmt insofern Wunder, als sich Die Zeit, namentlich in Gestalt Dieter Zimmers, und die FAZ – in Gänze, vor allem seit der letzten Rechtschreibreform – zu Gralshütern der deutschen Sprache aufgespielt haben. Die FAZ kann allerdings geltend machen, Helmut Kohl zitiert zu haben; dies aber in einer Überschrift auf der Titelseite zu tun hätte vermieden werden können: "Kohl: Entspannung macht nur unter globalem Aspekt einen Sinn".12 Dennoch scheint man bei dieser Zeitung doch zu sehr an den Lippen des heutigen Altkanzlers gehangen zu haben, denn auch das zweite Belegzitat, das der FAZ entstammt, befaßt sich mit Sinndeutung Kohlscher Äußerungen: "Zurück zu den Fünfzigern? Das macht, und so hat es der Kanzler auch gemeint, nur in einem Punkte Sinn [...]."13
Gordon Craigs Einschätzung, die FAZ pflege einen "würdevollen und etwas steifen Stil",14 muß also in diesem Punkt relativiert werden. Sein Urteil über die Sprache des Spiegels, die er als radikal, schrill und aggressiv15 charakterisiert, hingegen leuchtet ein. Wolf Schneider bescheinigt dem Spiegel, "mit seinen Manierismen seit Jahrzehnten der oberste Verhunzer der deutschen Sprache"16 zu sein. Allerdings ist dieser Vorwurf an die Presse auch nicht neu: Peter Panter alias Kurt Tucholsky beklagte schon 1929 in seiner Glosse "Zeitungsdeutsch und Briefstil" "einen bösen Verfall der deutschen Sprache".17 Überhaupt sind Tucholskys Gedanken über die zunehmende Verhunzung der deutschen Sprache von bemerkenswerter Aktualität.
Offensichtlich entstammt die Phrase "Sinn machen" dem Englischen – Dudenredaktion und Broder Carstensen sind sich hier einig; sie ist eine wörtliche Übersetzung der Redewendung "to make sense", die tatsächlich ähnlich verwendet wird. Nun ist es mit dem Übersetzen so eine Sache – man kann wortwörtlich übersetzen, aber man kann auch eine sinngemäße Übertragung anstreben. Letzteres scheint jenen, die diese Phrase fürs Deutsche ersonnen haben, aber nicht in den Sinn gekommen zu sein, es wäre ja schließlich auch überflüssig, sprich: sinnlos, gewesen, da es ja sinnvollere und einleuchtendere Entsprechungen für den entlehnten Begriff gibt.
Interessanterweise findet Sinn ("sense") im Zusammenhang mit "machen" im 20-bändigen Oxford English Dictionary auf vier Seiten mit je drei Spalten unter 30 Unterpunkten nur zwei kurze Erwähnungen:
1921 G. B. Shaw Back to Methuselah IV. 148 She spoke to me without any introduction, like any improper female... Improper female doesn’t make sense.
1926 Punch 12 Feb. 170/2 It can’t be right, it can’t be. Spats and a bowler hat, but no umbrella—it doesn’t make sense.18
Es fällt auf, daß beide Beispiele die Phrase im negativen Zusammenhang verwenden, daß hier also etwas sinnlos bzw. ohne Sinn sei. George Bernard Shaws Zitat ist doppeldeutig: ist das unanständige Weib sinnlos, daß heißt ergibt das, was sie sagt oder tut, keinen Sinn, oder hält der Sprecher die Bezeichnung "unanständiges Weib" für eine ohne Sinn? Das zweite Beispiel aus der Satirezeitschrift Punch hingegen besagt eindeutig, daß die Kombination von Gamaschen und Melone ohne Schirm keinen Charme habe, daß der Gentleman ohne Schirm unvollständig gekleidet sei, seine Kleiderwahl also ohne Sinn und Verstand sei. Erwähnenswert ist am Rande, daß bereits 1686 die Wendung "to make sense of somebody" auftaucht, die allerdings mit "aus jemandem Schlau werden" übersetzt werden sollte. Auch hier steht die Redewendung ursprünglich in negativem Zusammenhang; die Sinnlosigkeit, nicht das Sinnhafte, steht im Vordergrund.
Übernimmt man Wolf Schneiders Formenkatalog der Anglizismen, so kann man "es macht Sinn" in zwei der vier Kategorien einordnen: Da es mehrere sinnvolle und einleuchtende deutsche Entsprechungen gibt, kann man von der "[d]ümmliche[n] Nichtübersetzung eines englischen Wortes"19 sprechen – Beispiel: Inauguraladresse; besser aber paßt die Definition einer "scheinbar deutsche[n] Wortprägung, die ein angelsächsisches Vorbild nachäfft".20
Bis hierher wurden die klassischen Quellen herangezogen, um die Phrase "Sinn machen" zu belegen. Aber man kommt ja um das neue Globalmedium der vernetzten Informations- und Desinformationsmöglichkeiten nicht herum. Das weltweite Gewebe, dieses Strickwerk von Kabeln rund um den Erdball, auch das Internet genannt, schien zum Sinnstifter der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts geworden zu sein. ‘Internet’ war die Antwort auf viele drängenden Probleme der jüngsten Vergangenheit: Bildungsnotstand? Internet in die Schulen. Verbrechen? Internet-Datenbanken. Arbeitslosigkeit? Homepage des Arbeitsamts. Terroranschläge? Vernetzung der Geheim- und anderen Dienste. Sonstige Fragen? Gib sie einfach in eine Suchmaschine ins Netz. Dieses Internet gibt uns also mit seinen Werkzeugen Antworten auf alle drängenden Fragen.
Die Eingabe der beiden Begriffe "Sinn machen" und "to make sense" in fünf willkürlich ausgewählten Suchmaschinen21 des Internets brachte erstaunliche Ergebnisse: Unter den jeweils ersten fünf Suchergebnissen finden sich hauptsächlich Werbeseiten für CDs, Beschreibungen von Elektronikbauteilen, Öl-Additiven, Seiten mit Computer-, Finanz- und Tauchtips. Religiöse Seiten stellen die Sinnfrage, pornographische und die eines Kosmetikstudios glauben sie zu beantworten. Auch die Bayer AG und der Keksbäcker Brandt beteiligen sich an der Sinnstiftung.
Erschreckend sind jene Seiten, die sich mit Sprache befassen. Ein dänischer Übersetzer prahlt, daß seine Texte durchs bloße Übersetzen mit Sinn versehen wurden: "Unsere Übersetzungen machen Sinn".22 Ein Lehrer bietet als Hilfe für "Berufsschüler, Berufskollegs, Techniker etc. ... und alle die mal was verpasst haben"23 (!) sein Übungsmaterial Englisch an. Der Wert der Hilfe bleibt zweifelhaft, da sich unter den Redewendungen die schlichte Erklärung "make sense (Sinn machen)" findet. Eine Seite einer Grundschule, die "Lernprogramme die Sinn machen" anbietet, bedarf wohl keines weiteren Kommentars.24
Der Verein Deutsche Sprache, der es sich nach eigenen Worten zum Ziel gesetzt hat, "die Vermanschung des Deutschen mit Anglizismen zu Denglisch"25 zu bekämpfen, ignoriert das Sinnmachen geflissentlich. Ganz anders der Verein zur Wahrung der deutschen Sprache, für dessen zweiten Vorsitzenden Hensel insbesondere die Verwendung der Phrase "Sinn machen" ein Beispiel für unsere angebliche "Selbstkolonialisierung"26 darstellt. Jedenfalls spricht sich Hensel für die Verwendung der deutschen Synonyme aus.
Man kann natürlich auch die Ansicht vertreten, daß es Synonyme eigentlich gar nicht gibt, da sie in Nuancen in ihrer Bedeutung von einander abweichen oder auch in unterschiedlichen Sprachzusammenhängen benutzt werden. Dann können wir allerdings nicht von bestehenden Definitionen und Entsprechungen für die Phrase "Sinn machen" ausgehen, sondern müssen einen Schritt weitergehen: Vielleicht will der Sprecher ja sinnstiftend wirken, vielleicht verwendet er den Begriff in vollem Bewußtsein, daß die deutsche Sprache kein Äquivalent aufweise, es also nötig sei, eine neue Redewendung in den Sprachgebrauch einzuführen.
In einem Brief an den Spiegel beklagte ein Leser den "Unfug", Satzkonstruktionen mit "es macht Sinn" zu verwenden: "In korrektem Deutsch muß es immer noch ‘hat nicht mehr viel Sinn’ heißen. Eine Sache hat Sinn; er wohnt ihr inne, aber sie bringt kaum einen Sinn hervor, produziert ihn, macht ihn. [...] Hier wird wieder einmal grundlos das Englische nachgeäfft: it doesn’t make sense. Wozu das?"27 Ja, wozu wohl? Ich will ein wenig sinnieren: Das Sinnmachen kann auch mit dem Drang des Menschen zusammenzuhängen, es dem Schöpfer nachzutun und ebenfalls schöpferisch tätig zu werden. Wem es also nicht gelingt, ein Haus zu bauen, einen Baum zu pflanzen oder einen Sohn zu zeugen – vulgo: alle diese Dinge zu machen – der glaubt vielleicht wenigstens Sinn machen zu können, und sei dieser auch noch so flüchtig. Ein Kritiker könnte einwerfen, es handele sich ja um das unpersönliche "es", welches, der Logik der Phrase folgend, den Sinn fabriziere.28 Richtig, aber der Sinn steckt ja in der besprochenen Sache – vgl. Aristoteles – und harrt darauf, herausgeholt zu werden. Da er dies nun schwerlich selbst und aus eigener Kraft bewerkstelligen kann, bedarf es der Hilfe desjenigen, der die Sache bespricht. Er erkennt den Sinn, welcher der Sache innewohnt, und bekundet, dieser sei gemacht. Oftmals hat der Sprecher jenen Sinn, den er zu erkennen glaubt, dem besprochenen Gegenstand selbst beigemessen. Durch sein Zutun entstand gleichsam der Sinn, er wurde gemacht. "Machen" bedeutet ja auch, einer Sache mächtig sein, im weiteren Sinne, Macht über etwas erlangt zu haben. In Amerika kann man sogar, entgegen jeglicher biologischer Gesetzmäßigkeit, sich selbst machen: Der selfmademan, der Mann, der sich selbst (zu was auch immer) gemacht hat, genießt hohes Ansehen. Da im amerikanischen Selbstverständnis jeder seines Glückes Schmied ist, kann er sich selbst machen. Warum soll man also nicht auch Sinn machen können? Welche höhere Macht aber kann es geben, als selbst Sinn zu stiften? Der Sinnstifter wird zum Schöpfer, ja, er wird Gott gleich, hat Macht.
Politiker, aber auch die Meinungsmacher der Medien, genießen Macht. Die hohlen Phrasen so manches Politikers sind oftmals sinnentleert, und die Medien geben diese dann noch besser verpackt wieder. Mit vielen wohlgesetzten Worten wird häufig vieles nicht gesagt, zumindest wird der wahre Sinn bis zur Unkenntlichkeit verschleiert. Chicago trägt den Beinamen "The Windy City" nicht, wie man annehmen könnte, wegen der Brisen, die durch die Häuserschluchten pfeifen, sondern wegen der warmen Luft, welche die Politiker der Stadt von sich zu geben pflegten. Auch scheinen manche Mächtigen dem "make believe" – dem "Glauben machen" wollen – näher zu stehen als dem Sinnvollen. Das Volk plappert es dann unreflektiert nach. Kurt Tucholsky alias Peter Panter bemerkte in ähnlichem Zusammenhang, es sei "rätselhaft, wie dieses [deutsche] Volk, das angeblich so unter seinen Beamten leidet, sich nicht genug tun kann, ihnen nachzueifern".29 Dennoch genießt der Macher in gewissen Teilen der Bevölkerung ein hohes Ansehen – einer, der nicht "nur" redet, sondern etwas macht, einer der seinen Worten Taten folgen läßt. Dabei scheint es gleich zu sein, was er macht – daß er etwas macht ist ausreichend. Das Sinnhafte wird seinem Tun automatisch beigemessen. Er macht also gleichsam Sinn, indem er handelt. Ist das praktische Ratio?
Die Buchheimsche Unterscheidung zwischen gemeintem bzw. inhaltlichem Sinn und persönlichem Sinn hilft weiter: "Persönlicher Sinn beschränkt sich auf den Belang, den eine Gegebenheit für eine Person hat, gemeinter bzw. inhaltlicher Sinn dagegen betrifft auch die Gegebenheit selbst".30 Der Sinn, den ein Politiker sich von einer Gegebenheit macht, muß ja nicht viel mit der Gegebenheit gemein haben. Wird aber dieser gemachte, persönliche Sinn von Medien übernommen und verbreitet, so kann er zum gemeinten Sinn mutieren. Sinn wurde gemacht. Laut Hegel ist der Staat "die Welt, die der Geist sich gemacht hat".31 Wenn nun also der Geist des Politikers einen Staat machen kann, warum soll er nicht auch Sinn machen können? Und da laut Pythagoras der Mensch das Maß aller Dinge ist, muß es wohl so sein. Andererseits: omnes definitio [...] periculoso est. Hans Buchheim sagt über die praktische Gangart der Ratio, etwas Gewolltes werde der vorgefundenen Wirklichkeit implantiert.32 Das hieße, der Sinn würde gemacht und dann in das Vorhandene eingepflanzt. Dann käme dieser gemachte Sinn nicht aus der Sache, wo sie ja laut Aristoteles steckt, sondern von außen. Aber Buchheim meint auch, daß zur praktischen Gangart die Möglichkeit des Irrtums gehöre33 – der gemachte Sinn kann also ausgemachter Blöd- oder gar Unsinn sein.
Hier scheint sich die Lösung der Frage nach dem Sinn aufzutun. Unsinn kann man, soll man aber nicht machen – "macht keinen Unsinn!" Mehr noch: wenn Unsinn die Negation des Sinns ist, dann ist ja "Sinn machen" durch Aufhebung der doppelten Negation das Äquivalent von "keinen Unsinn machen". Ergibt dieser Unsinn überhaupt einen Sinn? Mir erscheint es sinnlos, weiter über diese Frage nachzusinnen...
* Das Zitat scheint nicht von Karl Kraus zu stammen, allerdings konnte ich den tatsächlichen Urheber nicht ermitteln. Bei Kraus findet sich in den Aphorismen ein ähnlicher Sinnspruch: "Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können – das macht den Journalisten" (A1443). Ich danke Michael Prónay für den Hinweis.
1 Der Große Duden. Band 1: Rechtschreibung. Mannheim: Bibliographisches Institut, 1973.
2 Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden. 3., völl. neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim: Dudenverlag, 1999. 3571.
3 Ebd. Der erste Beleg ist allerdings der chronologisch spätere, nämlich aus dem Jahr 1986: Frings, Matthias. Liebesdinge. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1986.
4 Brockhaus-Enzyklopädie. Bd. 28. 19., völl. neu bearb. Aufl. Mannheim: F.A. Brockhaus, 1995. 3111.
5 Wahrig. Deutsches Wörterbuch. 7., vollst. neu bearb. u. akt. Aufl. Gütersloh/München: Bertelsmann Lexikonverlag, 2000. 1158.
6 Deutsches Wörterbuch. Hrsg. Hermann Paul. Tübingen: Niemeyer, 1992. 801.
7 Grimm, Jakob, und Wilhelm Grimm. Deutsches Wörterbuch. Bd. 16. [1905]. Gütersloh: Bertelsmann, 1991.
8 Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Bd. 5. Berlin: Akademie-Verlag, 1976.
9 Vgl. Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945. Bd. 3. Berlin/New York: Walter de Gruyter, 1994. 1313.
10 Ebd.
11 Vgl. ebd.
12 FAZ 15.11.1982: 1; Überschr. Zitiert nach: Anglizismen-Wörterbuch 1313.
13 FAZ 13.5.1983: 1. Zitiert nach: Anglizismen-Wörterbuch 1313.
14 Craig, Gordon A. Über die Deutschen. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1985. 365.
15 Ebd.
16 Schneider, Wolf. Deutsch für Profis.Wege zu gutem Stil. [1984]. München: Goldmann, 2001. 12. Vgl. ebd. 81f.
17 Tucholsky, Kurt. "Zeitungsdeutsch und Briefstil". Sprache ist eine Waffe. Sprachglossen. Zusammengestellt v. Wolfgang Hering. Reinbek: Rowohlt, 1989. 30.
18 Oxford English Dictionary. Bd. XIV. Oxford: Clarendon Press, 1989. 979.
19 Schneider 70.
20 Ebd.
21
22 Blohm, Michael. NetTranslation. (20. September 2001).
23 Fehrenbach, Wolfgang. Ãœbungsmaterial Englisch. (20. September 2001).
24 Grundschule Lauterstein. (20. September 2001).
25 Verein Deutsche Sprache. (20. September 2001).
26 Hensel, Horst. "Verteidigung der Muttersprache – eine Aufgabe für den Deutschunterricht". Pädagogik. Zitiert nach: Bödeker, Heike. Sprache Deutsch. (20. September 2001).
27 Der Spiegel 4.7.1983: 12f. Zitiert nach: Anglizismen-Wörterbuch 1313.
28 So geschehen durch Sabine Froesa am 3.10.2001.
29 Tucholsky 30.
30 Buchheim, Hans. Theorie der Politik. München/Wien: Oldenbourg, 1981. 68. Vgl. auch 174.
31 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. "§272". Grundlinien der Philosophie des Rechts. Frankfurt/M: Suhrkamp, 1986. 434.
32 Eigene Notizen. Buchheim, Hans. "Ratio und praktisches Handeln". Seminar. 29.10.1996.
33 Ebd. 10.12.1996.
In leicht veränderter Form ursprünglich erschienen in:
Stahl, Heiko. "Macht Sinnmachen Sinn?" Fest gelesen. Politische Akteure und Aktionen. Texte zum 80. Geburtstag von Professor Hans Buchheim. Hg. Stephanie Zibell. 2. Aufl. Prag: Selbstverlag, 2002. 44-51.
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19.01.2007 09:27 |
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