70. Todestag von Carl von Ossietzky am 4. Mai 2008 |
Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
Alter: 60
Herkunft: Rödermark
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70. Todestag von Carl von Ossietzky am 4. Mai 2008 |
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Am 4. Mai 1938, kurz nach 15 Uhr, starb, erst 48 alt, im Berliner Nordend-Krankenhaus Carl von Ossietzky, der 1936 den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935 erhalten hatte. Das NS-Regime verbot, dass auch nur ein Wort über seinen Tod gesprochen werden dürfe. Eine Totenfeier durfte nicht stattfinden. In der Kapelle des Krematoriums gab es - wie sich Maud von Ossietzky an den Tod ihres Mannes erinnerte - nur einen stummen Abschied. "Kein Redner sprach, kein Freund rief dem Toten ein Wort des Gedenkens nach."
Es war der Tod eines Aufrechten, der konsequenter als Andere gegen den Nationalsozialismus und gegen Krieg gestanden hat und dafür mit furchtbaren Qualen und Leid bezahlen mußte - nachdem er in der Nacht des Reichstagsbrandes am 28. Februar 1933 aufgrund der "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat", die Reichspräsident von Hindenburg am selben Tage unterschrieben hatte, verhaftet und gequält wurde.
Carl Burckhardt besuchte ihn im Konzentrationslager Ersterwegen im Jahre 1935:
"Nach zehn Minuten kamen zwei SS-Leute, die einen kleinen Mann mehr schleppten und trugen als heranführten. Ein zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen; er schleppte ein gebrochenes, schlecht ausgeheiltes Bein. Ich ging ihm entgegen, reichte ihm die Hand, die er nicht ergriff. "Melden!" schrie [Unteroffizier] Loritz. Ein unartikulierter leiser Laut kam aus der Kehle des Gemarterten. Ich zu Loritz, "zurück!", "Herr von Ossietzky", sprach ich ihn an. "Ich bringe Ihnen die Grüße Ihrer Freunde, ich bin der Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, ich bin hier, um Ihnen, soweit es möglich ist, zu helfen." Nichts. Vor mir, gerade noch lebend, stand ein Mensch, der an der äußersten Grenze des Tragbaren angelangt war. Kein Wort der Erwiderung. ich trat näher. Jetzt füllte sich das noch lebende Auge mit Tränen, lispelnd unter Schluchzen, sagte er: "Danke, sagen Sie den Freunden, ich sei am Ende, es ist bald vorüber, bald aus, und das ist gut." Und dann noch ganz leise: "Danke, ich habe einmal Nachrichten erhalten, meine Frau war einmal hier; ich wollte den Frieden." Dann kam wieder das Zittern. Ossietzky vernigte sich leicht in der Mitte des weiten, leeren Lagerplatzes und machte eine Bewegung, als wolle er militärische Stellung annehmen, um sich abzumelden. Dann ging er, das eine Bein nachschleppend, mühsam Schritt für Schritt zu senier Baracke zurück." Er sollte sich nie wieder erholen.
Hitler hatte ihm nie verziehen, dass er anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung des deutschen Reiches im Januar 1931 geschrieben hatte: "Bismarck war trotz alledem eine Jahrhundertgestalt. Wer aber ist Adolf Hitler? Wie groß muss die geistige Versumpfung eines Volkes sein, das in diesem albernen Politiker einen Führer sieht, also eine Persönlichkeit, der nachzueifern wäre! Wie groß muß die psychologische Unfähigkeit dieses Volkes sein, sein mangelnder Instinkt für Echtheit und Falsifikate!"
Da hat Ossietzky wirklich klar gesehen. In seiner ergreifenden Ossietzky-Biographie: "Es ist eine unheimliche Stimmung in Deutschland": Carl von Ossietzky und seine Zeit schreibt Wilhelm von Sternburg: "Hugo von Hofmannsthal schrieb einmal über den bedeutensten Aufklärer der deutschen Klassik, Gotthold Epharim Lessing, die melancholischen Sätze: "er war von einem anderen Geschlecht; er zeigte eine Möglichkeit deutschen Wesens, die ohne Nachfolge blieb...Seine Bedeutng für die Nation liegt in seinem Widerspruch zu ihr. Innnerhalb eines Volkes, dessen größte Gefahr der gemachte Charakter ist, war er ein echter Charakter." Carl von Ossietzky, der "weise Nathan der Weimarer Republik" (Dieter Hildebrandt), dar für sich in Anspruch nehmen, in dieser Nachfolge zu stehen."
Und leider stimmt auch das Fazit von Susana Böhme-Kuby, die in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift: "Blätter für deutsche und internationale Politik", Heft 5/08 schreibt:
"Sein Name gehört jedenfalls nicht zu denen, die in der Bundesrepublik Deutschland offihziell als Widerstandskämpfer gegen Hitler gewürdigt wurden und werden. Das rituelle Gedenken erstreckt sich heute, neben den Offizieren des 20. Juli, eigentlich nur noch auf die Studenten der Weißen Rose. Selbst der 50. Jahrestag der Verliehung des Friedensnobelpreises...wurde von der deutschen Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen...Und dabei war Ossietzky nicht einmal Kommunist, was seine Ausblendung aus dem offiziell gewürdigten Widerstand immerhin in der alten Bundesrepublik erklären würde."
Zeit, an diesen großen Mann, der für seine Überzeugung gequält wurde, zu erinnern - anlässlich seines 70. Todestages
Quellen: Wilhelm von Sternburg: "Es ist eine unheimliche Stimmung in Deutschland:" Carl von Ossietzky und seine Zeit. - Berlin: Aufbau-Verl., 1996
Susanna Böhme-Kuby: Martyrium eines Aufrechten: Zum 70. Todestag Carl von Ossietzkys in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/08, S. 95-103
__________________ King: You're a monster, Urquhart.
Urquhart:You might very well think that, Sir, but your opinion doesn't count for very much now, does it? Good day, Sir.
Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
Dieser Beitrag wurde 2 mal editiert, zum letzten Mal von Bernhard Nowak: 04.05.2008 22:04.
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03.05.2008 17:59 |
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Rabe
Schüler
Dabei seit: 29.08.2004
Alter: 34
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Danke, dass du das hier geschrieben hast.
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04.05.2008 16:19 |
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Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
Alter: 60
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Themenstarter
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Vielen Dank! Für mich ist dies mein wichtigster Beitrag für dieses Forum überhaupt - denn an diesen großartigen Mann kann nicht genug erinnert und für die Sternburgsche Biographie - m.E. das beste Werk von Sternburg - geworben werden.
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Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
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04.05.2008 21:15 |
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Rebsel unregistriert
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Schön, dass du das hier reingeschrieben hast. Es ist so schade, dass sich kaum jemand an ihn zu erinnern scheint, und auch viele andere Widerstandskämpfer vergessen werden.
Auf seinem Grab in Berlin steht nicht einmal der Name. Seine Tochter von Ossietzky-Palm hatte in der BRD versucht, die Verurteilung während der Weimarer Republik wegen "Landesverrats" revidieren zu lassen - abgewiesen.
Heute wurde der Carl-von-Ossietzky-Preis an Inge Deutschkron verliehen...wenigstens einmal was positives in Bezug auf Ossietzky.
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04.05.2008 21:18 |
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Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
Alter: 60
Herkunft: Rödermark
Themenstarter
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Es ist in der Tat - wie Sternburg völlig zu recht schreibt - eine Schande, dass Carl von Ossietzky bis heute nicht rehabiliert worden ist. Sternburg schreibt:
"Es wird ein halbes Jahrhundert später noch ein beschämendes, angesichts der juristischen und politischen Fakten unglaubliches Nachspiel geben. Im Jahre 1992 weigert sich der 3. Strafsenat des Bundessgerichtshofs, den als "Landesverräter" verurteilten Carl von Ossietzky zu rehablitieren. Mit der windigen formaljuristischen Begründung, nach geltendem Recht seien weder eine fehlerhafte Rechtsanwendung noch eine Änderung der Rechtssprechung "für sich allein ein Wideraufnahmegrund", und der der Wirklichkeit hohnsprechenden Bemerkung, es gebe keinen konkreten Tatverdacht "wegen direkt vorsätzlicher falscher Rechtsanwendung" beim Leipziger Urteil [von 1931, B.N.], weisen bundesdeutsche Richter die Bemühungen von Ossietzkys Tochter zurück, die Ehre ihres Vaters wiederherzustellen. Die Richter Hitlers finden dagegen bei ihren Berufskollegen im Bundesgerichtshof ausnahmslos äußerst nachsichtige juristische Betrachter des Justizterrors im Driten Reich. [...] Elie Wiesel, einstiger KZ-Häftling und Friedensnobelpreisträger von 1986, äußerst sich am 22. Januar 1996 in der französischen Zeitung "Liberation" mit nur allzubrechtigtem Zorn: "Carl von Ossietzky, der legendäre anti-Hitler-Journalist, wird nicht rehabilitiert werden. Das schreibt der Berlin-Korrespondent der "New York Times" in der Ausgabe vom 13. Januar. Und seitdem? Nichts! Kein Dementi aus Bonn. Kein offizieller, kein offiziöser Kommentar des deutschen Justizministeriums. Das ist eine Schande."
Quelle: Wilhelm von Sternburg: Es ist eine unheimliche Stimmung in Deutschland: Carl von Ossietzky und seine Zeit. - Berlin: Aufbau-Verl., 1996, S. 234/35.
Bis heute hat es keine Rehabilitierung Carl von Ossietzkys gegeben. Dies ist meines Erachtens wirklich eine Schande.
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Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
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04.05.2008 21:56 |
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Rebsel unregistriert
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@Bernhard
Es ist richtig, an Ihn muss erinnert werden.
Ich finds auch fatal, dass so wenig über die Presse"freiheit" in der Weimarer Republik in der Schule durchgenommen wird - über die Widerstandskämpfer noch nicht einmal zwangsläufig was durchgenommen wird.
Es ist....ich sprechs mal nicht aus. Aber das ist irgendwie typisch BRD, die politische Justiz zieht sich subtil seit dem Deutschen Reich bis heute durch die Gerichte (und das ist weiß Gott keine Übertreibung!).
Da gibts viele ähnliche Urteile und (nichtvorhandene) Rehabilitierungen und so einiges, was das 3. Reich betrifft, wo es ein paar Jahrzehnte gedauert hat, bis man auf die Idee kam, das mal zu verurteilen.
Ich will mich nicht weiter aufregen, aber eigentlich sollte da mal wieder eine öffentliche Debatte heraufziehen...nur hab ich den Eindruck, dass die Leute entweder zu desinteressiert oder zu faul sind dafür. Wie auch immer.
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04.05.2008 22:21 |
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Bernhard Nowak
Schüler
Dabei seit: 26.08.2004
Alter: 60
Herkunft: Rödermark
Themenstarter
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@Rebsel:
Und genau dies spricht Bände für die bundesrepublikanische Geschichtspolitik. Wie ja auch Feuchtwanger oder Arnold Zweig (über beide Persönlichkeiten hat Wilhelm von Sternburg ebenfalls hervorragende Biographien geschrieben) in der früheren DDR gewürdigt wurden - und nicht hier [dies gilt für viele frühere "verbrannte Dichter", vgl. hierzu: Peter Mertz: Und das wurde nicht ihr Staat. - München: Beck, 1985). Der mutige Ossietzky wird in der Bundesrepublik einfach "vergessen." Susanna Böhme-Kuby schreibt: "Ins Ausland zu gehen, wie es sein Kollege Tucholsky schon 1930 getan hatte, hätte für ihn bedeutet, sich für lange Zeit, wenn nicht für immer, in Deutschland mundtot zu machen: "Der Oppositionelle, der über die Grenzen gegangen ist, spricht bald hohl in das Land hinein."
Im übrigen noch eine Anmerkung zur Weigerung des Bundesgerichtshofs, von Ossietzky zu rehabilitieren. Frau Böhm-Kuby schreibt hierzu:
"Eine Bundesrepublik, die mit der Wiedervereinigung auch ihre militärische Souveränität wiedererlangt hat und seitdem wieder deutsche Interessen in aller Welt "verteidigt", ist offensichtlich nicht gewillt, einen Mann wie Ossietzky von dem offiziell bis heute nicht aufgehobenen "Landesverrat" freizusprechen. Dabei wurde er, anders als von der deutschen Rechtsprechung, von der Geschichte längst rehabilitiert."
Sollte sie damit möglicherweise recht haben? Darüber sollte man vielleicht einmal intensiver nachdenken.
__________________ King: You're a monster, Urquhart.
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Ian Richardson in: "House of cards, Teil 2: To play the King"
Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zum letzten Mal von Bernhard Nowak: 04.05.2008 22:29.
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04.05.2008 22:27 |
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Rabe
Schüler
Dabei seit: 29.08.2004
Alter: 34
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Ich erspare mir hier ganz ehrlich meinen Kommentar zur Behandlung von Carl von Ossietzky durch die bundesdeutsche Gerichtsbarkeit und meine Meinung zur "Geschichtspolitik" wie sie hier in Deutschland durch unterschiedichste gesellschaftliche Entitäten und Lobbygruppen betrieben wird, ist wahrscheinlich genauso wenig hoffähig.
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10.05.2008 19:42 |
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Lost One
Schüler
Dabei seit: 16.01.2008
Alter: 36
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Ich kann mich nur anschliessen, und mich bedanken für den Bericht und die Mühe die du dir damit gemacht hast!!
__________________ ''
* Dank an Blubble für den tollen Ava*
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13.05.2008 19:14 |
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Rebsel unregistriert
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Apropos: "Recht ist, was den Waffen nützt" - das Buch spricht Bände
Tucholsky ist ja auch nicht zum "Soldaten sind Mörder"-Prozess gekommen, da Ossietzky ihn immer wieder gewarnt hatte. Und er war ja auf der ersten Liste der Ausgebürgerten...
Aber bei Ossietzky ist glaub ich nicht ganz klar, warum er nicht ins Exil ging..
Ich glaub er hatte doch auch familiäre Probleme und Schulden?
"(..)Ein Entlassungsgesuch mit der Erklärung zu unterschreiben, dass er seine Anschauungen revidiert habe, weigerte sich Ossietzky. Unter dem Druck der internationalen Öffentlichkeit wurde er schließlich in ein Gefängnislazarett überführt. Dort erreichte ihn die Nachricht von der Verleihung des Friedensnobelpreises. Göring selbst versuchte Ossietzky zu bewegen, den Preis abzulehnen. Ossietzky weigerte sich. Eineinhalb Jahre später, am 4. Mai 1938, starb er, streng bewacht, an der im KZ erlittenen Behandlung. Der Botschafter in Oslo musste gegen die Preisverleihung protestieren. "
Daß er dieses Entlassungsgesuch nicht unterschrieben hat..puh, das nennt man glaub ich Standfestigkeit. Und ein wenig mehr.
Darüber wird auch in dem bereits erwähntem Buch nachgedacht, unter anderem auch über die Fememorde und wie die Justiz damit umging. Wer das mal gelesen hat...der wird nie wieder in die Justiz vertrauen können.
Dieser Umgang ist nichts neues. Ich könnte etliche Fälle - von den Anklagen in den 90er Jahren wegen des "Soldaten sind Mörder"-Spruchs, über Kriminalisierung der Friedensbewegung aufgrund des Protests gegen den Nato-Doppelbeschluss bis hin zu später Rehabilitierung von Wehrmacht-Deserteuren - aufzählen, mit dem Zählen wird man niemals fertig. Ob sich eigentlich mal irgendeiner dieser Götter der Justiz mal was dabei gedacht hat?
Ich mein sowohl die Blutrichter der Nazis, als auch die heutigen? Aber immerhin hat der BGH schon einige Tippelschrittchen in die richtige Richtung unternommen...
Fortsetzung:
"Goebbels ließ in der deutschen Presse verbreiten: "Die Verleihung des Nobelpreisträgers an einen notorischen ist eine unverschämte Herausforderung und Beleidigung des neuen Deutschlands." Allen deutschen Bürgern wurde ausdrücklich verboten, künftig einen Nobelpreis anzunehmen."
(Chronik Deutschland - von der Reichsgründung bis Heute, S. 365)
Ich habs dick unterlegt; man läßt auch Goebbels Aussage damit stehen, man bestätigt sie sogar noch - und das find ich einfach unmöglich!
Schade, daß Ossietzky so in Vergessenheit gerät - und nicht nur er. Der militärische Widerstand ("Valkyrie" etc.) wird jedes Jahr aufs Neue hervorgehoben.
In Hamburg in der Michaelisstraße 10 ist er übrigens geboren, da steht das Haus heute leider nicht mehr, aber wenigstens eine Gedenktafel ist angebracht.
Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zum letzten Mal von Rebsel: 29.05.2008 15:16.
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29.05.2008 15:15 |
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